Katrin Bamberg - Spinnradmärchen

Vor langer Zeit hatte es sich zugetragen, da fand eine Spinne ein Hirsekorn. Sie beschloss es auf die andere Seite des Meeres zu tragen, sie schleppte es zum Ufer des Meeres. „Puh“, das ist ja unglaublich weit. Sie schaute und sah, wie sich Himmel und Meer in der Ferne berührten. Da wurde ihr klar, dass sie allein das Korn niemals auf die andere Seite des Meeres bringen würde. Eine Spinne kam daher gekrabbelt und sah die Fliege ganz verzweifelt am Ufer sitzen. „Ich werde dir helfen und einen Faden spannen von hier bis zur anderen Seite und dann spazieren wir hinüber.“ Gesagt, getan. Eine wacklige Angelegenheit war das schon, aber sie kamen wohlbehalten auf der anderen Seite an. Dort überbrachten sie das Hirsekorn einen Bauern. Der pflanzte es in die Erde und zum Dank für ihre Mühe ließ er Fliege und Spinne auf dem Bauernhof bleiben. Der Bauer versprach ihnen und allen ihren Nachkommen lebenslanges Wohnrecht und Sicherheit. Nie würde ein Besen die Spinnennetzte berühren, nie würde ein Pantoffel die Spinnen oder Fliegen erschlagen. 

Spinne und Fliege freuten sich sehr, doch wussten sie, wie vergesslich Menschen zuweilen sind und so taten sie das einzig Richtige: sie ließen sich einen Vertrag geben.

Das ist wichtig, denn in einem Vertrag steht drin, wie und warum man sich verträgt. 

Als die Tinte getrocknet war, überlegten sie, wo man ein solches Schriftstück am sichersten aufbewahren könnte. „Wir fragen die Katze, die kennt sich auf dem Hof gut aus.“, beschlossen die beiden. Und die Katze führte Spinne und Fliege auf den Dachboden des Hauses. Dort fanden sie ein kleines, halbrundes Loch am Boden und steckten den Zettel hinein. Die Spinne baute herrliche Netze, die Fliege summte auf dem Dachboden herum und es war eine herrliche Zeit. Ganz allmählich nahmen sie und alle ihre Kinder und Kindeskinder das ganze Bauernhaus in Beschlag.

Wahrscheinlich wäre das noch viele Jahre so gegangen, doch eines Tages starb der alte Bauer und sein Sohn übernahm den Hof. Er hatte eine junge schöne Frau geheiratet und die war sehr reinlich. Sie fegte und putzte, wischte und polierte. Kein Fleck entging ihr, sie fand jede Spinnenwebe und entfernte sie.  Die beiden jungen Leute wussten nichts von einem Vertrag. Spinne und Fliege aber erinnerten sich sehr genau und baten die Katze um Hilfe: „Bitte bringe uns zum Dachboden, wo das Loch ist. Wir müssen den Vertrag holen.“ Die Katze half gern. Doch wie staunten die drei, als sie sahen, dass in dem Loch nur noch ein paar Fetzchen lagen. Der Vertrag war verschwunden. Genau genommen war der Vertrag nicht verschwunden, sondern eine Maus war gekommen und hatte den Vertrag zum Teil verspeist, zum Teil im Nest verbaut. Seit diesem Tage setzen die Hausfrauen Spinnen und Fliegen einfach vor die Tür und sagen: „Die haben in der Küche nichts verloren.“ Die Katze aber jagt den Mäusen nach, in der Hoffnung, in einem Mäusebauch den verloren gegangenen Vertrag wiederzufinden. Wie wir wissen, sucht die Katze bis heute vergeblich.

Mit diesem tierischen Märchen aus Sorben begrüße ich dich im neuen Jahr. Möge 2025 viele gute Dinge für dich bereithalten und dir reichlich Gesundheit und Glück schenken.

Herzliche Grüße

Katrin Bamberg

Öffentliche Erzähltermine:

Sonntag, 05.01.2025 19 Uhr, Theater der 2 Ufer - Rauhnacht

Freitag, 17.01.2025 19 Uhr, Kirche Sand - Wunschpunsch

Sonntag, 19.01.2025 15 Uhr, Theater der 2 Ufer - Wintermärchen

Samstag, 25.01.2025 20 Uhr, Reithalle Offenburg - Woher weht der Wind

Sonntag, 09.02.2025 15 Uhr, Theater der 2 Ufer - Wintermärchen

Freitag, 21.02.2025 19 Uhr, Kirche Sand - Wunschpunsch

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• Mit Schwung ins neue Jahr – und ins neue Zuhause!
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